Sein Leben

Der äußere Lebenslauf

Paul Goesch lebte von 1885 bis 1940. Geboren am 30. August 1885 in Schwerin; Kindheit und Schulzeit in Berlin. Studium der Architektur 1903 bis 1910; 1914 Prüfung zum Regierungsbaumeister in Berlin. Während des Krieges von 1915 bis 1917 im Postdienst in Kulm (Westpreußen; heute Chelmno, Polen); psychische Krise.

Paul Goesch Medaillon
1 Paul Goesch, wohl um 1920
Einziger bekannter Abzug, im Medaillon-Rähmchen.
Ehemals Slg. Agnes Redepenning (Goeschs Patentochter),
Bodenteich / Niedersachsen, D, danach Privatbesitz.
Als Geschenk an den "Freundeskreis Paul Goesch", Archiv, Köln.
(Photo: © Mongi Taleb, Digital Image Center, Köln)

Um 1920 in Berlin: Hier ist Goesch an Ausstellungen beteiligt, und er ist Mitglied mehrerer avantgardistischer Künstlervereinigungen, so z.B. in der von Bruno Taut initiierten »Gläsernen Kette«.
Danach bis 1935 Patient der Landes Heil- und Pflegeanstalt in Göttingen, danach der Anstalt in Teupitz in Brandenburg.
Der Künstler wird am 22.8.1940 in der Psychiatrischen Klinik Brandenburg ermordet (mündliche Mitteilung von Hans-Karl Foerder an Stefanie Poley). Goeschs Urne wurde am 23.10.1940 auf dem Berlin-Zehlendorfer Friedhof Onkel-Tom-Straße beigesetzt.
So weit die lexikalischen Informationen, wie sie auch über das Leben eines Menschen gemacht werden, dort aber im Grunde nicht zulässig sind.
Die meisten Informationen des Folgenden, die persönlichen Photos, Goeschs programmatische Skizze und die Gedichte werden hier erstmals veröffentlicht. Eine ausführliche Darstellung wird meine Buchpublikation über den Künstler enthalten; siehe  Die Projekte.)
 

Innere Wanderschaft

Bisher ist wenig bekannt über Goeschs Leben. Was sich schon sagen lässt, ist, dass es wesentlich das Leben eines Suchenden, eines »Wanderers« war.
Paul Goesch, der aus gebildeter und wohlhabender Familie stammte und wahrscheinlich hochbegabt war, hatte sein akademisches Architektur-Studium - darüber sagen die obigen lexikalischen Daten nichts aus - als unbefriedigend empfunden.
 


2. Berlin, Zeughaus und Dom, um 1930.
Sächsische Landesbibliothek -
Staats- und Universitätsbibliothek
Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek 

Schon als Schüler in Berlin hatte er sich rezeptiv mit zeitgenössischer Dichtung und den Glaubensgrundsätzen der katholischen Lehre befasst und sich dadurch seinen individuellen Zugang zum Verständnis von Kultur erschlossen. Als Studenten waren ihm dann Philosophie und Psychologie sowie Malerei, Zeichnung und Wandmalerei ebenso wertvoll wie sein Fach Architektur. Sein Interesse galt darum nicht dem rein Fachlichen, sondern zielte auf übergeordnete Fragen des Lebens und wie diese in allen Künsten würdig zu behandeln seien. Der humanistische Rahmen, der ihm von Seiten der Familie mitgegeben war, lieferte für seine Suche nur die allgemeine Orientierung.

3. Carl Rade und Paul Goesch (rechts), wohl um 1910
Collection Centre Canadian d'Architecture /
Canadian Centre for Architecture, Montréal

Unabdingbar notwendig schien es Goesch, über persönliche Erfahrungen - oder: über das Experiment am eigenen Leib, an der eigenen Seele - zu individuellen Einsichten zu gelangen, um aus ihnen zeitgemäße Ideen entwickeln zu können. Noch vor dem Studienabschluss begann der junge Goesch diesen seinen Weg zur Erkenntnis. Er war angezogen von den so neuen wie damals heftig umstrittenen Erfahrungsfeldern von Psychoanalyse und Theosophie bzw. Anthroposophie und wurde einer ihrer ersten Schüler in Deutschland. Teils begleitet, teils angeregt wurde er darin von seinen Brüdern Heinrich und zeitweise auch Fritz Goesch.

Für den angehenden Architekten waren insgesamt die außerakademischen Anregungen die bedeutenderen: Zu seinen geistigen Lehrern gehören so unterschiedliche Persönlichkeiten wie sein Großvater, der Arzt Theodor Thierfelder in Rostock, die dem Sozialismus verbundene Künstlerin Käthe Kollwitz in Berlin, der in München und Ascona wirkende, ihm altersmäßig nahe stehende Psychoanalytiker Otto Gross, seinerseits Schüler von Sigmund Freud und C.G. Jung, sowie Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, in Berlin und Dornach bei Basel. Paul Goesch verbindet die Lehren zu einem ethisch anspruchsvollen und sozialen Verständnis von den Aufgaben der Architekten und Künstler.

Erneuerung 

In Deutschland stand nach dem Ende des Krieges und der Abdankung des Kaisers im November 1918 die radikale Erneuerung der Verhältnisse auch für viele Künstler und Architekten auf der Tagesordnung. Goeschs Lebensziele hängen eng damit zusammen. Als Kind geprägt von der ›boomenden‹ Gründerzeit in der ›pulsierenden‹ deutschen Hauptstadt mit ihrer monumentalen wilhelminischen Architektur (Abb. 2), hatte er als Jugendlicher einen alternativen, neuen Weg gefunden, welcher der pazifistischen, naturverbundenen Lebensreform verwandt war (Abb. 3). Sein spezifisches Ziel mag mit ›Erneuerung durch Spiritualisierung‹ angemessen beschrieben sein. Allem Anschein nach verfügte er über eine Universalität des Denkens und Fühlens, die das Gegenteil jeglichen politischen oder sozialen Kolonialismus‹ darstellte, da sie auf Toleranz und Wohlwollen gründete.


4. Faltblatt »Austellung für unbekannte Architekten«
Berlin, April 1919
Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Berlin

Die Haltung der Toleranz verband ihn mit den führenden Persönlichkeiten des »Arbeitsrat für Kunst«, mit Bruno Taut und Adolf Behne, an deren Berliner Ausstellung bei Israel Ben Neumann im Frühjahr 1919 er beteiligt war. Bezeichnend ist der programmatische, freundliche Titel: »Ausstellung für [!] unbekannte Architekten«.

Es kam zur Zusammenarbeit zwischen Paul Goesch und Bruno Taut, und Goesch wurde Mitglied in der von Taut initiierten Künstlergemeinschaft »Gläserne Kette«. Diese Vereinigung bestand im Jahr 1920. Ihre Mitglieder sind heute z.T. berühmt, z.T. sind sie unbekannt geblieben: Außer Goesch und den Brüdern Bruno und Max Taut waren es Wilhelm Brückmann, Alfred Brust, Hermann Finsterlin, Jakobus Göttel, Otto Gröne, Walter Gropius, Wenzel August Hablik, Hans Hansen, Carl Krayl, die Brüder Hans und Wassili Luckhardt und Hans Scharoun.

5. Paul Goesch
Ohne Titel, 1921 oder später
Schwarze Tinte; 14,7 x 23,2 cm, Privatbesitz
 
 
6. Detail aus Abb. 5

Die Atmosphäre religiöser Offenheit innerhalb der »Gläsernen Kette« drückt sich speziell bei Goesch u.a. auch in einer neuen Nachdenklichkeit bezüglich des Christentums aus. Erstaunlicherweise vermochte er den katholischen Katechismus noch um eine Aufforderung, als Christ sein Leben sinnvoll zu gestalten, zu ergänzen. Wie beiläufig auf einen Zettel notiert - es handelt sich um die Rückseite der Rechnung einer Verlagsbuchhandlung - finden sich neben der Skizze einer Kirche die »sieben Werke der leiblichen Barmherzigkeit« verzeichnet, nämlich »Hungrige speisen / Durstige tränken / Fremde beherbergen / Nackte bekleiden / Kranke besuchen / Gefangene befreien / Tote begraben« und danach Goeschs individuelle Ergänzung: »Lebendiges ausgraben« (Abb. 5 und 6).

Paul Goeschs programmatische Notiz »Lebendiges ausgraben« entstand 1921, in einer hoffnungsvollen Zeit. --- 1937, zur Zeit der Verfolgungen, wird Stefan Zweig die Novelle »Der begrabene Leuchter« schreiben. Sie handelt davon, dass in Zeiten der Not das höchste Symbol - für Zweig ist es der siebenarmige Leuchter des jüdischen Glaubens - verborgen werden muss, um seine magische Wirkungsmacht für eine ferne Zukunft retten zu können.

Auf seinem anspruchsvollen Lebensweg erlitt Goesch Zusammenbrüche und musste Phasen von Klinikaufenthalten in Kauf nehmen. Sein Leben endete tragisch. Nicht nur, dass eine schizophrene Erkrankung nicht bezwungen werden konnte: Es kam hinzu, dass im Nationalsozialismus die spezifischen Erneuerungsansätze aus Goeschs Zeit - Sozialismus, Psychoanalyse, Anthroposophie - nicht mehr wirken und die Avantgarde-Künstler, die ihnen als Pioniere Ausdruck gegeben hatten, nicht mehr leben sollten.

Nun steht Goeschs Rehabilitierung an (siehe  Wir über uns;  Die Projekte)
 
Stefanie Poley. Oktober 2005