Paul Goesch - Sein Werk

Der Werkbestand

Paul Goesch hat als Architekt und Maler ein Werk geschaffen, von dem man sagen kann, dass der Anteil des Malens, d.h. des Bilder-Entwerfens, des phantasievollen Imaginierens, beträchtlich groß ist. Der Werkbestand, wie er bisher erforscht werden konnte, umfasst rund 2.000 Zeichnungen, Skizzen und farbige Gouachen (Deckfarbenmalereien), verstreut in privatem und öffentlichem Besitz, außerdem ein Wandgemälde und eine Raumausmalung. Gebäude gibt es von Goesch keine zu sehen: Von seinen Architekturentwürfen ist in den finanziell knappen Jahren um 1920 keiner ausgeführt worden, und später war fast sein gesamtes Werk verborgen, verschollen. Etliche Werke sind leider zerstört.

»Festsaal«, 1921. Raumausmalung (zerstört).

Sehr viele Arbeiten konnten nun dennoch, im Laufe von dreißig Jahren, wundersamerweise wiederentdeckt werden - das heißt, sie konnten nicht nur wiederaufgefunden, sondern darüber hinaus wahrscheinlich auch gedeutet werden. Die hier gegebenen Erläuterungen enthalten neueste kunsthistorische Informationen über das Werk des Künstlers und Architekten. (Siehe zuvor Max Taut und Ungers, Pehnt, Roters, Whyte und Schneider sowie Poley in  Literatur.) Die Arbeiten, die in den Abbildungen 2, 3, 8 und 9 zu sehen sind, werden erstmals veröffentlicht.

Das Frühwerk ab 1900

Es beginnt 1900: Damals wendet sich Goesch, fünfzehn Jahre alt und Schüler in Berlin, der symbolistischen Kunst seiner Zeit zu. Deren Thematik einer geheimnisvollen Verbindung von Leben und Tod, der symbolhaft vorgetragene Verweis ›über sich selbst hinaus‹ und hin auf ein kaum geahntes Ziel, kommt seinen religiösen Interessen entgegen. Ein symbolistischer Nachklang wird auch im späteren Werk noch vorhanden sein, aber kaum als düster-melancholische Stimmung, sondern positiv, andächtig. Goeschs schönste Arbeiten sind froh in Form und Farbe, und ein spielerischer Ton schwingt mit.
 
Das malerische Frühwerk ist pointillistisch im Stilempfinden, ›französisch‹ hell und leicht. Die bislang erst vereinzelt aufgetauchten Arbeiten besitzen immer intimes Handformat, wobei jedoch eine Übertragung in den monumentalen Maßstab konzeptuell mitbedacht ist.

1. »Weibliche Gestalt«, wohl 1908
Bleistift, Gouache und Goldbronze;
20,6 x 32,9 cm
Privatbesitz

Ein echter Beweis dafür ist die noch freizulegende Ausmalung einer großen Halle in Dresden aus dem Jahr 1908, der Zeit, in welcher auch die Künstler der »Brücke« dort arbeiteten (siehe   Die Projekte ). Jenen Raum hatte der angesehene und Goesch nah verbundene Kunstkritiker Paul Fechter hoch gerühmt, ohne Scheu vor einem Vergleich mit van Gogh und Franz Marc.

Das Werk ab 1918

Ein wichtiger Teil des Werkes entsteht, als Paul Goesch während des Krieges einen Zusammenbruch erlitten hatte und ihm danach die Ausübung seines Architekten-Berufes nicht mehr möglich war. Jene bedeutende Phase beginnt im Jahr 1918 und reicht bis 1922/23. Stilistisch kann man ihre beiden Stränge, den architektonischen wie den malerischen, dem späteren Expressionismus zuordnen. Dabei verwendet Goesch im Bereich des Malens unterschiedliche Sprachebenen - je nach Kontext, in dem die Arbeit steht bzw. je nach Adressat, für den sie gedacht ist, ob z.B. für die Öffentlichkeit einer Ausstellung oder privat für ein Kind in der Verwandtschaft.
 
Was Goeschs künstlerische Motivwahl angeht, so ist konkret zu sehen, wie er jetzt Symbolkenntnisse (man beachte die immer wiederkehrenden Dreiecksformen!), außerakademisch erworbene Einsichten und schließlich die ihm professionell vertrauten Bauaufgaben miteinander ins Spiel bringt. Daraus geht ein sehr vielschichtiges Werk hervor.
 
In seiner Eigenschaft als Maler behandelt er mythologische und religiöse Motive aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen, webt jedoch in die Darstellung - psychologisch kundig - die knisternde Spannung realer menschlicher Begegnungen hinein. Auf diese Weise kann er komplexe Ideen auch für Zeitgenossen lebendig werden lassen, welche die Bilder unter Umständen betrachten, ohne über Vorkenntnisse zu verfügen (Abb. 2-4).

2. »Der zerstückelte Horus.«, wohl 1918
Gouache; 16,5 x 20,6 cm
3. »Buddhistische Mönche«, wohl 1918
Gouache und Goldbronze
4. »Christus am Kreuz und Maria«, 
wohl 1918, Gouache; 16,2 x 19,2 cm

Umgekehrt gibt er einfachen Alltagsszenen - zwei Personen im Gespräch auf einer sommerlichen Wiese - ein symbolhaftes, fast kosmisches Gepräge (Abb. bei 'Ausstellung', Bild des Monats August). Jeder Moment des Lebens ist gemäß Goesch hoch bedeutungsvoll, es gibt nichts Unbedeutendes.
 
In seiner Eigenschaft als Architekt wiederum entwirft Goesch Gebäude, für welche er den Ausdrucksgehalt geometrischer oder aber frei bewegter Formen in Anwendung bringt. Solche Bauwerke sind für einen sakralen Zweck bestimmt, oder sie tragen eine festliche Stimmung in den profanen Kontext hinein (Abb. 5-7; siehe auch   Vermisste Arbeiten, Abb. 2 ). Es sind dies die Arbeiten, mit denen sich Goesch in besonderer Weise als Mitglied der von Bruno Taut initiierten Vereinigung »Gläserne Kette« charakterisiert (Abb. 5).

5. Ohne Titel, wohl 1920
Pauszeichnung; 33 x 21 cm
6. »Rathaus«, 17.3.1921
Gouache; 16,3 x 20,7 cm
7. »Baustudie«, wohl 1921
Gouache und Gold- und Silberbronze

Er, der als Architekt die Gesetzmäßigkeiten der Stabilität kennt, befasst sich auch mit dem Thema Bewegung. Abgrenzungen werden bei ihm durchlässig als seien sie Beschränkungen des Bewusstseins, die nicht mehr nötig sind und aufgegeben werden können. Rechteckig statische Saalwände lösen sich in abstrakte, schwingende Kompositionen auf, und in Mauern öffnen sich Tore (Abb. 8, 9; siehe auch   Vermisste Arbeiten, Abb. 10).

8 . »Festsaal«, 1921
Raum-Ausmalung
9. »Tor in einer Mauer«, wohl 1921
Gouache; 25,2 x 36,5 cm

Die metaphysische Dimension ist für alle Bildbetrachter berührt, wenn Lichtöffnungen und Lichtbahnen an die Stelle von zu erwartender Dunkelheit treten oder die Farben und Gegenstände der irdischen Welt am großen Verwandlungsprozess beteiligt sind (Abb. 10-13). Der Künstler, der ein vielfach Lernender, ja Leidender, gewesen war, übernimmt mit all jenen Werken nun seinerseits die Rolle eines guten Lehrers.

10. »Grabkapelle«, wohl 1921
Gouache; 28,8 x 21 cm
11. »Kapelle«, 19.3.1921
Gouache; 20,9 x 16,3 cm
12. »Wanderer«, 22.2.1921
Gouache; 21 x 15,3 cm
13. Ohne Titel, wohl 1921
Gouache; 32,8 x 21 cm

Die christliche Gewissheit des geistigen Lebens, der Schrecken des Abgrunds und dann wieder Vergewisserung seiner selbst kennzeichnen Goeschs Bildinhalte in den nachfolgenden Werkphasen, so weit diese für uns schon fassbar sind und wie sie hier nur in unzulänglichen Worten beschrieben werden können (Abb. 14-16).

14. »Auferstehung der Toten«, wohl 1922
Schwarze Tusche; 28,6 x 34,3 cm ,Berlinische Galerie. Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin
15. Ohne Titel, wohl 1925    
Gouache; 16,4 x 10,6 cm
16. Ohne Titel, 1932   
Gouache und schwarze Tusche    

Überblicken wir das Werk ›unseres‹ Künstlers, dann dürfen wir als Erkenntnis wohl festhalten: Malerei und Zeichnung stellen im Verein mit Architektur die ›Sprache‹ bereit, in welcher Goesch von einer Beheimatung des menschlichen Individuums in gültigem Wertesystem, von einem ›Leben mit Sinn‹ und von Entwicklung berichtet.
 
 
Paul Goesch über Kunstbetrachtung

Manchmal, wenn wir die Reize einer Landschaft in unserem mathematischen Geiste zergliedern,
oder die Nüancen wägen, die die Linien eines Antlitzes umspielen,
Befällt uns eine heimliche Beklemmung, und wir fragen uns:
Bis zu welchem Abgrund versinken wir in diesen Gefühlserregungen?
doch wir erahnen dann in diesem bewußten sich Auflösen
unserer Seele die Entfaltung einer hohen Fähigkeit,
und eine hingebungsvoll um einen Gedichtvorleser oder ein Gemälde versammelte Gesellschaft
erscheint uns wie eine religiöse Gemeinde.

Paul Goesch.
Aus einer Folge von 12 Gedichten, wohl 1916.
Unveröffentlicht

Aktuelle Informationen des Freundeskreises

Goeschs Werk war lange Zeit und zum Teil absichtlich verborgen, ja sogar verleugnet gewesen. Und auch wenn sich heute, im Jahr 2005, in etlichen Museen sogar große Konvolute seiner Arbeiten befinden (siehe  Links), so ist das zwar in diesem und jenem Fall eine - grundsätzlich erfreuliche!- Auswirkung der langjährigen Forschungstätigkeit. Gleichwohl ist das Werk nicht nur zerstreut, sondern es erscheint »zerstückelt« wie Goeschs »Der zerstückelte Horus.«, weil Datierung und Deutung noch unpubliziert sind und es folglich nicht als Ganzes wahrgenommen werden kann. Auch bleibt dieses Werk unsichtbar, solange es nicht aus seinem ›Aufbewahrungsort Graphikkasten‹ - mag es sich um eine private oder eine öffentliche Graphiksammlung handeln - hervorgenommen und gezeigt werden kann.
 
Wir freuen uns darum umso mehr, dass die technische Möglichkeit der Website und die so dankenswerte Generosität der Eigentümer es uns erlauben, einzelne Werke Paul Goeschs der Öffentlichkeit vorzustellen.
 
Stefanie Poley. Oktober 2005